Prof. Dr. Peter Mrozynski

Bevor ich an die Peter-A.-Silbermann-Schule kam, hatte ich eine schwierige Schulzeit und zwei Lehrabbrüche hinter mich gebracht. Unter solchen Voraussetzungen geht man eigentlich nicht an ein Abendgymnasium. Ich hatte anfangs auch nicht damit gerechnet, länger dort bleiben zu können. Doch allmählich blieben die schulischen Misserfolge, an die ich mich in der Vergangenheit schon gewöhnt hatte, aus.

Die Zukunft, das waren nun für mich fünf Schuljahre. Das hieß lernen in jeder freien Minute. Wichtige Lernorte waren für mich im Sommer der kühle U-Bahnhof Heidelberger Platz und anfangs vor allem auch die Straßenbahnlinie Nr. 3, die damals noch nicht von einer entfesselten Stadtverwaltung abgeschafft worden war. Aber es gab nicht nur das unerbittliche Lernen. Es entwickelten sich vor allem auch neue Freundschaften. Inmitten einer Schar von Menschen unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlicher Vorgeschichte und unterschiedlichen Zielen war das Leben bunter geworden. Fest in meiner Erinnerung geblieben ist manche Nachtwanderung nach dem Unterricht – ein Vorzug, den nur ein Abendgymnasium bieten kann.

Im Rückblick war alles gut in der Peter-A.-Silbermann-Schule.

Mein Studium hatte ich in der Universitätsstadt Göttingen begonnen, die aus der Großstadtperspektive betrachtet, damals noch sehr klein war. Nun schien alles ganz ruhig weiterzugehen, fast zu ruhig verglichen mit dem Leben im Abendgymnasium. Aber die Studentenrevolte hat mich dann doch etwas durcheinander gewirbelt. Wenn man ein Jurastudium in einer recht vagen Vorstellung von „Gerechtigkeit“ beginnt und dann eine Gesellschaft erlebt, die noch immer nicht gelernt hatte, über das Unrecht der Jahre 1933 bis 1945 offen zu reden, und die dann noch diesem Schweigen das Schweigen über das Unrecht des Vietnamkrieges hinzufügte, dann wollte man einfach nur etwas ganz anderes – aber was? Jedenfalls setzte ich hohe Erwartungen in die Entwicklung, die sich in den Jahren um 1968 andeutete.

Doch ich hatte mich getäuscht. Was man mit dem Jahr 1968 verbindet, hatte nur eine kurze Lebensdauer. Allzu bald konnte man eigentlich nur noch zwischen Anpassung, sturem Dogmatismus und Gewalt wählen. Es waren wohl verschiedene Erfahrungen, die mich in diesem Punkt vor einer falschen Entscheidung bewahrt haben – aber es war ganz gewiss auch der Geschichtsunterricht im Abendgymnasium bei unserem unvergleichlichen Lehrer Günter Holz.

Nach Studium und Referendarzeit begann ich zunächst als Rechtsanwalt zu arbeiten. Meine erste Erfahrung war, dass die Anforderungen auch in einem akademischen Beruf doch ganz schön hinter den damals durchaus noch lebendigen Idealen eines universitären Studiums zurückblieben. Nach einigen Jahren anwaltschaftlicher Routine zog ich mich in die Hochschule München zurück und widmete mich dort dem Sozialrecht. Für mich war und ist das noch immer eine Möglichkeit, einer ernüchternden Rechtswirklichkeit aus dem Wege zu gehen. Ich konnte wieder ganz nach Belieben Bücher lesen und schreiben und das, was in der Realität mit dem Gesetz geschieht, aus einer (un-) gehörigen Distanz betrachten.

Als Schulversager in die Peter-A. Silbermann-Schule gekommen, habe ich etwas Wesentliches gelernt: Es gibt für mich keinen besseren Beruf als zu lernen.

Prof. Dr. Peter Mrozynski